In einem Artikel der Serie "Social Change in Switzerland" analysiert der Soziologe René Levy, warum Lebensläufe von Frauen durch die Geburt von Kindern ganz anders geprägt werden als diejenigen von Männer. Er kommt unter anderem zum Schluss, dass die mangelnde Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen in der Schweiz zum einen Auswirkungen auf die Erwerbslaufbahn der Mütter und deren finanzielle Absicherung im Alter hat. Zum anderen werden Ungleichheiten durch die Vermittlung traditioneller Rollenbilder an die Kinder auf die nächste Generation übertragen. Um eine gleichgestellte Partnerschaft nach Geburt des Kindes leben zu können, braucht es genügend ausserfamiliäre Betreuungsmöglichkeiten sowie einen echten Elternurlaub nach der Geburt.
Die Zunahme der Frauenerwerbsquote gilt oft als Zeichen zunehmender Geschlechtergleichheit; nach der Geburt des ersten Kindes stellt sich jedoch in vielen Familien in der Schweiz ein "traditionelles" Familienmodell ein, bei dem die Mutter die Erwerbstätigkeit reduziert, unterbricht oder gar definitiv aufgibt. Dies formt den weiteren Lebensverlauf der Frauen – nicht nur in Bezug auf ihre Berufskarriere – entscheidend mit.
René Levy analysiert in seinem Artikel aufgrund von drei sich ergänzenden Studien, warum Mutterschaft nach wie vor einen sehr starken Einfluss auf die Lebensläufe von Frauen in der Schweiz hat.
- Er stellt dabei erstens fest, dass sich der Bezug von Frauen zur Arbeitswelt mit der Geburt des ersten Kindes ändert: Die meisten Frauen reduzieren ihr Erwerbspensum, bleiben aber in Teilzeit beschäftigt und erledigen daneben noch Familien- und Hausarbeit. Die meisten Väter bleiben vollzeitlich erwerbstätig.
- Zweitens stellt Levy einen beträchtlichen Unterschied fest zwischen den Einstellungen der Paare zum Thema Gleichstellung und der tatsächlich gelebten Alltagspraxis: Viele Paare wollen ein gleichgestelltes Familienmodell auch nach Ankunft des Kindes umsetzen, faktisch führt die Elternschaft dann aber zu einem starken «Rückfall» in traditionelle Rollenbilder, bei der primär die Frau für Familien- und der Mann für Erwerbsarbeit zuständig ist.
- Drittens zeigt der Artikel auf, dass die Existenz von Vaterschaftsurlaub und familienergänzenden Betreuungseinrichtungen entscheidend dafür ist, inwiefern Paare ihre Idealvorstellungen von egalitärer Partner- und Elternschaft sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf leben können. Dies zeigt der Vergleich der Schweiz mit 20 europäischen Ländern sowie ein Vergleich von sozialpolitisch unterschiedlich funktionierenden Regionen innerhalb der Schweiz.
Die Analyse zeigt damit als zentrales Element die Wichtigkeit eines bedarfsgerechten ausserfamiliären Betreuungsangebots sowie eines echten Eltern- (nicht nur Mutterschafts-) Urlaubs auf. Dass viele Paare mit der Geburt von Kindern in traditionellen Familienmodellen bleiben, obwohl sie es sich eigentlich anders wünschen und vorstellen, hängt also stark von der Sozial- und Gleichstellungspolitik ab.
Der Artikel erschien in der Reihe Social Change in Switzerland, die laufend gesellschaftliche Entwicklungen in der Schweiz dokumentiert. Ziel der Reihe ist es, Veränderungen bezüglich Arbeit, Familie, Einkommen, Mobilität, Stimmrecht oder Geschlechterverhältnisse aufzuzeigen.
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