Bericht Runder Tisch 2018: Der Betreuungsschlüssel als zentrales Element der Betreuungsqualität

Begrüssung durch Nadine Hoch, Geschäftsleiterin kibesuisse

Nadine Hoch, Geschäftsleiterin von kibesuisse und Vize-Präsidentin des Netzwerks Kinderbetreuung Schweiz, begrüsste die Teilnehmenden. In ihrem Grusswort verdeutlichte sie, dass die Interaktion zwischen Betreuungsperson und Kind sehr wichtig ist. Daher ist auch der Betreuungsschlüssel ein wichtiger Faktor, weil er die Zeit vorgibt, welche eine Betreuungsperson für ein Kind zur Verfügung hat. Eine Interaktion zwischen Kind und Fachperson kann nur stattfinden, wenn genügend Zeit dafür vorhanden ist. Weiter ging Hoch auf den Begriff «Fachkraft-Kind-Relation» ein, welcher die Zeit beschreibt, die eine Betreuungsperson unmittelbar mit dem Kind arbeitet. Der Begriff «Betreuungsschlüssel» beinhaltet auch die mittelbare pädagogische Arbeit (Elterngespräche, Vorbereitungen, Sitzungen, Weiterbildungen etc.). Ein weiterer Aspekt, welcher in Bezug zum Betreuungsschlüssel unbedingt beachtet werden müsse, ist die Qualifikation des Betreuungspersonals.

Betreuungsschlüssel in der frühen Kindheit: GAIMH-Empfehlungen

Annika Butters vom Marie Meierhofer Institut für das Kind zeigte auf, wie wichtig ein guter Betreuungsschlüssel in Angeboten der frühen Kindheit ist. Dieser trägt zu einer stressfreien Arbeitsatmosphäre sowie guten Arbeitsbedingungen bei, welche es der Fachperson ermöglicht, sich der pädagogischen Aufgabe zu widmen.

Die GAIMH empfiehlt einen Betreuungsschlüssel von 1:2,5 (eher bei 1:2 anzusetzen) bei Säuglingen und Kindern von 0-2 Jahren, 1:4 bei 3-Jährigen und 1:5 bei 4-6-Jährigen. Wichtig seien aber auch der Umfang, die Zusammensetzung und die Kontinuität der Kindergruppe, die es dem Kind ermöglichen, mit anderen Kindern und den Erziehenden vertraut zu werden und persönliche Beziehungen einzugehen. Studien zeigen, dass deutliche Zusammenhänge zwischen der Qualität pädagogischer Prozesse (Prozessqualität) bzw. der kindlichen Entwicklung sowie der Fachkraft-Kind-Relation und der Qualifikation des Personals bestehen.

Betreuungsschlüssel in der Schweiz: Aktueller Stand und kibesuisse Empfehlungen

Bettina Brun von kibesuisse stellte in ihrem Referat die Betreuungsschlüssel in den Schweizer Kantonen vor. In der Schweiz haben die meisten Kantone Bestimmungen zum Betreuungsschlüssel mittels Richtlinien erlassen. Im schweizerischen Vergleich geben die Westschweizer Kantone in der Regel eher höhere Betreuungsschlüssel vor (d.h. eine Fachperson betreut mehr Kinder). Andererseits ist in der Romandie auch die Anzahl pädagogisch ausgebildeter Personen im Vergleich zu nicht pädagogisch ausgebildeten Personen höher, was zu einem höheren Kompetenzniveau führt.

Kibesuisse empfiehlt einen Betreuungsschlüssel, der sich von den wissenschaftlichen Empfehlungen unterscheidet. Dies liege daran, dass sich der Verband an den Realitäten in den Kitas orientiere, die sich aufgrund des Ressourcendrucks faktisch kaum an den Ideal-Vorgaben orientieren könnten. Empfehlungen abzugeben, welche von keiner Kita umgesetzt werden können, ergebe keinen Sinn. Trotz der Tatsache, dass es fachliche Empfehlungen zum Betreuungsschlüssel in den verschiedenen Altersgruppen gibt, würden diese auch kaum in die kantonalen Richtlinien Einzug finden. Dies sei darauf zurückzuführen, dass der Betreuungsschlüssel ein wichtiger Kostenfaktor von Kitas darstellt – ein Umstand, der es vielen Kitas verunmöglicht, das Verhältnis von Betreuungspersonen zu betreuten Kindern zu verbessern.

Berücksichtigt werden sollte auch, dass sich der Betreuungsschlüssel ausschliesslich auf die unmittelbare Arbeit, die die Betreuungsperson mit dem Kind verbringt, bezieht. Zur Führung, für die Vor- und Nachbereitung oder für Elterngespräche (mittelbare Arbeit) seien zusätzliche Stellenprozente nötig.

Betreuungsschlüssel im Vergleich: Vorgaben in der Betagtenbetreuung

René Alpiger, Leiter Region Ostschweiz und Mitglied der Geschäftsleitung der Tertianum AG, präsentierte die Betreuungsschlüssel in der Betagtenbetreuung und ermöglichte damit den Blick auf einen anderen Betreuungsbereich. Wie in der Kinderbetreuung nach Alter der zu betreuenden Kinder unterschieden wird, gibt es in der Betagtenbetreuung unterschiedliche Pflegestufen. Je nach Pflegebedarf der Bewohnenden, der in Minuten berechnet wird, ergibt sich ein Stellenbedarf pro Bewohner, der auf die Anzahl der Klienten hochgerechnet wird. Die Stellenberechnung ist aber in allen Kantonen unterschiedlich gestaltet. Daraus resultiert je nach Kanton eine unterschiedliche Anzahl Vollzeitstellen bei der gleichen Anzahl Klienten mit demselben Pflegeaufwand.

Zudem ist z.B. im Kanton St. Gallen vorgegeben, dass 40% des Fachpersonals auf Tertiär- und Sekundarstufe ausgebildet sein muss (Dipl. Pflegefachperson HF, FH, DN II, AKP bzw. FaGe/FaBe). Im Kanton Zürich beträgt dieser Anteil 50%, im Kanton Appenzell Ausserrhoden 34%. Grundsätzlich ist also der Grade- und Skillmix innerhalb der Pflege in den Wohn- und Pflegezentren in der Schweiz geregelt, aber es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Kantonen. Skillmix bezeichnet die passende Teamzusammensetzung in Bezug auf Fähigkeiten, Berufs- und Lebenserfahrung, beim Grade-Mix geht es um die Durchmischung unterschiedlicher Bildungsabschlüsse innerhalb der Pflege.

Workshops

Es fanden vier parallele Workshops statt, in welchen sich die Teilnehmenden mit dem Betreuungsschlüssel in Kitas (2 Gruppen), in der schulergänzenden Betreuung und in der Spielgruppe beschäftigten. Die Resultate wurden im Plenum vorgestellt.

Betreuungsschlüssel in Spielgruppen (Ruth Betschart)

Die Teilnehmenden dieser Gruppe stellten fest, dass die Betreuungsschlüssel der Spielgruppen in der Schweiz stark variieren. Der Schweizerische Spielgruppen-LeiterInnen Verband (SSLV) empfiehlt einen Schlüssel von 1:8. Bei Bauernhof- oder Waldspielgruppen empfiehlt sie hingegen, dass immer zwei Betreuer/innen anwesend sind und eine Gruppe maximal 12 Kinder umfasst. Die Teilnehmenden waren grundsätzlich der Meinung, dass immer zwei Betreuungspersonen anwesend sein sollten.

Weiter diskutierte die Gruppe, wie Fachpersonen einen Betreuungsschlüssel einfordern können. Beispielsweise könnten sich Vertretende von Spielgruppen einer Gemeinde oder sogar eines Kantons im Rahmen eines Runden Tisches treffen und gemeinsam Richtlinien zum Betreuungsschlüssel vereinbaren. Wünschenswert, so die Teilnehmenden, sei ein einheitlicher Betreuungsschlüssel. Zudem wurde auf die Bedeutung der Vernetzung zwischen verschiedenen Spielgruppen, mit den Gemeinden und den Kindergärten hingewiesen. Ziel sei es, eine Zusammenarbeit zwischen allen Gremien zu etablieren.

Betreuungsschlüssel in der schulergänzenden Betreuung (Anja Gerber)

Einige Teilnehmende dieser Gruppe waren an der Erarbeitung der kibesuisse-Empfehlungen zum Betreuungsschlüssel beteiligt. Dazu wurde festgehalten, dass der Betreuungsschlüssel von 1:8 von kibesuisse als Empfehlung akzeptabel sei, in der Praxis dieser Schlüssel aber relativ hoch angesetzt sei. Während ein tieferer Betreuungsschlüssel im Sinne der Betreuungsqualität wünschenswert sei, müsse beachtet werden, was realistisch sei. Ein zu starker Fokus auf eine genaue Zahl schien dieser Gruppe zudem nicht zielgerecht. Vielmehr gehe es um den Auftrag der Betreuungspersonen und unter welchen Bedingungen dieser optimal ausgeführt werden kann sowie um die Wertschätzung der Arbeit von Betreuungspersonen.

Grundsätzlich wurde bemängelt, dass es für die Betreuung keinen Berufsauftrag gibt und die Aufgaben oft nicht genau geklärt sind. Die gesellschaftliche Vorstellung des Berufes Fachperson Betreuung sei noch stark von Begriffen wie «Kinderhüten» und «Mittagessen» geprägt. Diese Vorstellung müsse in die Richtung der «Schaffung eines Bildungsraums für informelles Lernen» verändert werden und gegenüber der breiten Öffentlichkeit und der Politik kommuniziert werden. Ebenfalls mangelhaft sei die Wertschätzung der Arbeit der Betreuungspersonen durch die Öffentlichkeit, aber auch der eigene Selbstwert bzw. ein gemeinsames Berufsethos würden oft fehlen.

Betreuungsschlüssel in Kitas (Annika Butters)

In dieser Gruppe wurde diskutiert, dass es wichtig sei, dass das Verhältnis Fachkraft-Kind nur auf ausgebildetes Personal bezogen wird. Es müsse auch definiert sein, wie viele Fachpersonen über eine tertiäre Ausbildung verfügen müssen. Ausgangspunkt muss immer das Kindeswohl sein. Es soll geprüft werden, ob Subventionen nach Betreuungsstunden, nicht nur nach Tagen, möglich sind. Ein weiterer wichtiger Punkt sei, dass die Schwellenwerte bezüglich des Betreuungsschlüssels beachtet werden. Bei Unter-3-Jährigen hat eine Studie von Viernickel et al. gezeigt, dass deutliche Unterschiede in der pädagogischen Prozessqualität und dem Wohlbefinden der Kinder zwischen Gruppen mit einem Betreuungsschlüssel von 1:3 im Gegensatz zu 1:5. bestehen Dies weise auf einen Schwellenwert von 1:3 bis 1:4 hin. Der Staat müsse zudem mehr Verantwortung übernehmen, das heisst mehr finanzieren, aber auch mehr kontrollieren.

Betreuungsschlüssel in Kitas (Bettina Brun)

Die Diskussion in dieser Gruppe drehte sich um die Frage, wie die Forderung nach einer Erhöhung des Betreuungsschlüssels legitimiert werden kann. Die Debatte um den richtigen Betreuungsschlüssel habe sich von Fragen der Gruppengrösse und der maximalen Anzahl an Säuglingen in der Gruppe wegbewegt. Stattdessen seien Grössen wie der Aufwand für die mittelbare pädagogische Arbeit sowie die Gewichtung der Plätze zentral geworden. Um Anliegen wie der Erhöhung des Betreuungsschlüssels ihre angemessene Bedeutung zukommt, forderten die Teilnehmenden die Verankerung der familienergänzenden Kinderbetreuung auf nationaler Ebene sowie ein Engagement des Bundes, um den Bildungsbegriff um die Phase der frühen Kindheit und der Kinderbetreuung zu ergänzen.

Fazit (Patricia Buser)

Nach den Gruppendiskussionen fasste Patricia Buser vom Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz die Erkenntnisse aus den Workshops kurz zusammen. Für Spielgruppen sei eine Vernetzung auf Gemeindeebene von grosser Bedeutung, um Richtlinien zum Betreuungsschlüssel gemeinsam zu erarbeiten. Im Falle der schulergänzenden Betreuung sei es wichtig, dass diese von der Öffentlichkeit und der Politik als Akteur, die einen Beitrag zum öffentlichen Bildungsauftrag leistet, verstanden werde. Bezüglich Kindertagesstätten sei vor allem deutlich geworden, dass ein verstärktes Engagement des Bundes notwendig ist, um eine ganzheitliche Vision für die Kinderbetreuung und die frühe Kindheit zu entwickeln. Diese Rahmenbedingungen wiederum würden es den Akteuren von Angeboten der frühen Kindheit ermöglichen, gute Betreuungsschlüssel und die dazu notwendige Finanzierung einzufordern, die letztlich dem Kindswohl dienen.

Weitere Informationen: