An der ersten 5-Ländertagung Frühe Hilfen vom 15./16. März in Dornbirn (Österreich) zeigte sich, wie markant sich die familienbezogenen Rahmenbedingungen in der Schweiz von denjenigen der deutschsprachigen Nachbarländer unterscheiden. Vorgeburtlicher Mutterschutz, Elternzeit, nationale Zusammenarbeit, geklärte Zuständigkeiten für die frühe Kindheit – in all diesen Themenfeldern hinkt die Schweiz ihren Nachbarländern deutlich hinterher. Dies zeigte die Tagung deutlich auf, an der über 300 Fachpersonen unterschiedlichster Berufsgruppen teilnahmen.
"Frühe Hilfen" unterstützen belasteten Familien in den ersten Lebensjahren der Kinder (z.T. bereits während der Schwangerschaft). Es sind regionale, multiprofessionelle Netzwerke, die von Familien freiwillig genutzt werden. Sie sind auch die zentralen Anlaufstellen für alle in der frühen Kindheit aktiven Stellen und Berufsgruppen, die Familien mit Unterstützungsbedarf systematisch identifizieren, auf das Angebot hinweisen und die (werdenden) Eltern zur Inanspruchnahme motivieren. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist es, dass die Familienbegleitung personell möglichst stabil erfolgt. Die Familien werden also nicht von Fachstelle zu Fachstelle weitergereicht. In deutschsprachigen Nachbarländern der Schweiz sind entsprechende Systeme als regionale Frühe-Hilfen-Netzwerke beriets gut verankert, z.B. in Deutschland und Österreich.
Eine noch engere und bessere Vernetzung von Angeboten der Frühen Hilfen stand im Zentrum der 5-Ländertagung, die Mitte März in Dornbirn stattfand. Die Tagung zeigte auch auf, wie unterschiedlich weit die verschiedenen Länder in Bezug auf die Gewährleistung eines Frühe-Hilfen-Angebots sind. Prof. Dr. Martin Hafen, Präventionsexperte und Dozent am Institut Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention der Hochschule Luzern, sprach diesbezüglich pointiert vom «Entwicklungsland Schweiz». Er vertrat die Schweiz an der Tagung an der Podiumsdiskussion – schliesslich gibt es hierzulande keine zuständige staatliche Stelle wie z.B. die Nationalen Zentren Frühe Hilfen in Deutschland und Österreich. Hafen betrachtet die Frühen Hilfen als wichtigstes Präventionsfeld überhaupt, das die Familien umfassend unterstützt und die Entwicklungschancen der Kinder massiv stärkt. Von Seiten der Politik in der Schweiz ist aber nach wie vor nur wenig Bereitschaft da, umfassend in die frühe Prävention zu investieren, Angebote aufzubauen, finanziell zu unterstützen und zu vernetzen.
An der Tagung wurde die engagierte Arbeit von vielen verschiedenen Akteuren im Frühbereich vorgestellt, auch aus mehreren Kantonen und Städten aus der Schweiz. Aufgrund des Engagements in Kantonen und Gemeinden sind in der Schweiz in den letzten Jahren vielerorts neue Strukturen und Angebote für Familien mit kleinen Kindern entstanden. Prof. Hafen relativierte denn auch das Bild der Schweiz als Entwicklungsland in diesem Bereich – sie sei vermutlich eher ein Schwellenland: Es gibt bereits viele sehr gute Ansätze aus den Gemeinden und Kantonen. Mit dem vor Kurzem veröffentlichen Publikation der Schweizerische UNESCO-Kommission "Für eine Politik der frühen Kindheit" werden auch auf nationaler Ebene wieder Forderungen lauter nach mehr Verantwortung der öffentlichen Hand im Frühbereich und einem gemeinsamen, koordinierten Engagement von Bund, Kantonen und Gemeinden. In einem direktdemokratischen Land wie der Schweiz liege es aber schlussendlich auch an den StimmbürgerInnen, entsprechende politische Vorstösse anzunehmen, beziehungsweise gezielt PolitikerInnen zu wählen, die in die frühe Kindheit investieren wollen, so Hafen abschliessend.
Ein weiterer Unterschied zu den Nachbarländern war an der Tagung auffällig: Familienergänzende Kinderbetreuung wurde an der Tagung nur sehr am Rande thematisiert. Während in der Schweiz die meisten Debatten zur frühen Kindheit um frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) und um die Finanzierbarkeit von familienergänzende Kinderbetreuung kreisen, ist familienergänzende Kinderbetreuung für unter einjährige Kinder aufgrund der Elternzeitregelungen in unseren Nachbarländern generell unüblich.
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