Die frühe Sprachförderung unterstützt den Spracherwerb von Kleinkindern vor Eintritt in den Kindergarten und zielt darauf, herkunftsbedingte Defizite möglichst vor Beginn der schulischen Laufbahn wettzumachen. So zeigten sich teils bei Schuleintritt zunehmend grosse Unterschiede in der Sprachkompetenz der Kinder. Der Kanton Basel-Stadt hat mit seinem kantonalen Programm zur frühen Sprachförderung eine Vorreiterrolle übernommen.
Die Langzeitstudie des Basler Entwicklungspsychologen Alexander Grob belegt, dass je früher Kinder mit Migrationshintergrund bzw. herkunftsbedingte sprachlicher Defizite von familienergänzenden Betreuungsangeboten profitiert, desto schneller erwerben Kinder die deutsche Sprache und desto kleiner deren Defizite in der Schule. Die frühe Sprachförderung nutzt das Potential der ersten Lebensjahre, welche in Bezug auf die Bedingungen für den Spracherwerb förderlich sind, da nach Heike Behrens (Professorin für kognitive Linguistik und Spracherwerbsforschung an der Universität Basel) in dieser Entwicklungsphase verschiedene Stränge zusammenlaufen und aufeinander aufbauen. Das «Alter» ist jedoch nicht der entscheidende Faktor, denn der gelingende Spracherwerb ist auch von anderen Faktoren abhängig. Denn so zeigt die erwähnte Studie Grobs auch, dass je stärker die Identifikation der Eltern mit der Schweiz bzw. je höher ihre Motivation ist, sich zu integrieren, und je grösser die Sicherheit ist, in der Schweiz verbleiben zu dürfen, desto steiler die Lernkurve der Kinder.
Im Kanton Basel-Stadt wird in punkto früher Sprachförderung das Modell des selektiven Obligatoriums gehandelt.
Hinter diesem Fachbegriff verbirgt sich die Idee, dass Kinder im Vorschulalter (zwischen zwei und vier Jahren), die kaum oder nur wenig Deutsch sprechen, vor Kindergarteneintritt obligatorisch eine «Spielgruppe» oder ein anderes familienergänzendes Angebot besuchen müssen, um Deutsch zu lernen.
Die obligatorische Deutschförderung im Kanton Basel-Stadt erfolgt im Rahmen von mindestens zwei Halbtagen in Angeboten der familienergänzenden Betreuung. Die Kosten hierfür werden vom Kanton getragen. Zur Einschätzung der Sprachkenntnisse der Kinder wird den Eltern im Kanton Basel-Stadt eineinhalb Jahre vor Eintritt in den Kindergarten ein Fragebogen zur Erhebung der Sprachkompetenz zugesandt. Der Fragebogen ist in zwölf Sprachen verfügbar und ermöglicht auch Eltern ohne Deutschkenntnisse eine Einschätzung ihrer Kinder. Der retournierte Fragebogen wird ausgewertet und die Eltern schriftlich über das Ergebnis und weitere Vorgehen informiert. Wird ein Kind zur Deutschförderung verpflichtet, melden die Eltern ihr Kind bei einem geeigneten Platz an und schicken die entsprechende Bestätigung als Nachweis ein.
Während die Wichtigkeit der frühen Sprachförderung unbestritten ist, ist man sich hinsichtlich deren Einführung als obligatorische Massnahme uneins.
Derweil in der Stadt Chur das seit 2015 bestehende sprachliche Frühförderprogramm «Deutsch für die Schule» ab Schuljahr 2020/21 selektiv obligatorisch wird, setzt die Stadt Bern weiterhin auf Freiwilligkeit. In Chur wurde die Abkehr von der Freiwilligkeit durch den Gemeinderat mit dem Ziel die Quoten zu erhöhen – trotz grosser Akzeptanz des Angebots (85 % der Kinder mit Teilnahmeempfehlungen) – entschieden. Auch im Kanton Thurgau wird die Einführung eines selektiven Obligatoriums geprüft.
Christoph Eymann, Motionär «Frühe Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt als Voraussetzung für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme» befürwortet ein Obligatorium. Dies ermöglicht gerade schwer erreichbarere Zielgruppen bzw. Familien, die in Bezug auf Angebot und Nutzen der frühen Sprachförderung noch nicht sensibilisiert sind, zu erreichen. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren befürwortet Angebote zur Förderung der Sprachkompetenzen von Kindern, steht einem grundsätzlichen «Obligatorium» im kantonalen Verantwortungsbereich jedoch eher skeptisch gegenüber.